Gemeinsamkeiten kann ich nur mit einem anderen Menschen haben, den ich respektiere und der mir nicht fremd bleiben will.


  • 27.11.2017 16:46 - Wie man auf die Kanaren kommt

48 - ja, achtundvierzig - Jahre später geht es weiter Richtung Westen. Wir beide haben ein paar Jahrzehnte gearbeitet, je eine misslungene Ehe hinter uns gebracht, segeln und uns kennen gelernt, schon mal mit unserer Aneki von Norditalien nach Portugal und wieder ein Stückchen zurück gesegelt und nun ein Sückchen weiter. Ich hoffe, ihr liest auch etwas längere Beiträge...

Mangels Peitsche knallt Aneki mit ihrer Genua. „Aber Herrin“, beeile ich mich sie zu beschwichtigen, „du wirst doch nicht angenommen haben, ich könnte pinkeln gehen oder ein Glas Wasser, meine Jacke, eine Banane holen wollen? Aber nein, ich stehe dir ja voll zur Verfügung! Womit darf ich denn dienen? Du willst doch nicht schon wieder anluv...“ – knall! – „ich meine, möchtest du vielleicht anluven? Reichen fünf Grad oder sollen es gleich zehn werden?“ Wenn aber Segelstellung und Wind einigermassen übereinstimmen, pflügt sie mit gleichgültiger Selbstverständlichkeit die Wellen. Ob sie dabei nach Lanzarote kommt, auf Felsen zerschellt oder an allem vorbeisegelt bis zur Antarktis? Kümmert sie einfach nicht! Es ist schon fast unheimlich, in dieser rabenschwarzen Nacht.
Die Stadt Sevilla hat uns nicht das erste mal gelockt. Aber uns deshalb schon Mitte September – später bekommt man da keinen Platz mehr – winterlich einzumotten, fanden wir plötzlich irgendwie doch zu blöd. Schneller Entscheid: Kanaren!
Montag früh sind wir bereit, der Wetterbericht droht aber mit Nebel bei Tarifa. Therese steigt auf die Hafenmole: tatsächlich! Das liegt zwar östlich und unser Kurs ist Südwest, aber so genau weiss man nicht was daraus wird, also erst mal abwarten. Gegen zwölf sieht es besser aus. Wir verholen zuerst zur Tankstelle. 147 Liter Diesel füllen den Tank randvoll, insgesamt dürften 350 Liter drin sein. Trotzdem ist es klar: die ganze Strecke motoren liegt diesmal auf gar keinen Fall drin! Es muss gesegelt werden, ob der Wind weht oder nicht, ob aus der richtigen oder falschen Richtung, zu viel oder zu wenig.
Das meilenlange Thunfischnetz vor Barbate umfahren wir aber doch unter Motor. Der Kältespeicher im Kühlschrank muss sowieso erst mal abgekühlt werden – sein Kühlkompressor wird direkt vom Diesel angetrieben – und die „Autobahn“ (offiziell: Verkehrstrennungsgebiet) von Gibraltar soll einmal mehr überquert werden. Ein Stück weit begleiten uns mehrere Delfine. Zuerst verliert unser Handy den Kontakt zum Rest der Welt. Dann findet das Echolot keinen Boden mehr. Europa verschwindet hinter uns im Dunst, irgendwann auch die Berge Marokkos an Backbord. Für uns Schweizer immer noch sensationell: 360 Grad Horizont – aus Himmel und Wasser bestehend.
Neptun meint es gut mit uns: wir können ab 17 Uhr die ganze Nacht segeln; es ist ein Amwindkurs, bei wenig Wind und Seegang ideal. So können wir ohne Stress anfangen, uns mit diesem seltsamen Lebensrhythmus anzufreunden: drei Stunden Wache, drei Stunden frei, rund um die Uhr.
Dienstag morgen sehen wir zwei andere Segler. Sie fahren anscheinend den gleichen Kurs, verschwinden aber nach einem halben Tag weiter westlich. Ein, zwei Frachter, einige Fischer, alle weit weg. Der Wind schläft ein, kommt wieder, wir setzen und bergen Segel, starten und stoppen die Maschine und sind viel allein, können ja nicht zusammen schlafen. Zweimal täglich muss der Diesel laufen um Kälte zu erzeugen, sonst segeln wir auch schon mal mit nur zwei Knoten, wenn der Wind nicht mehr hergibt; auf kürzeren Strecken haben wir für sowas nie Zeit, weil wir dann immer bei Tageslicht ankommen wollen. Ob es jetzt aber vier, fünf, sieben oder mehr Nächte werden, darüber macht man sich keine Gedanken, weil es völlig unmöglich ist, das Tage vorher schon zu wissen. Es gibt keine Agenda und die Rolle der Uhr ist auch eine ganz andere als im „normalen" Leben.
Sternenklare Nächte. Die Mondsichel geht erst Stunden nach Mitternacht auf – sah aus wie ein Orangenschnitz, erzählt Therese – die Luft ist klar und es gibt keine andere, störende Lichtquellen. Unter Segeln haben wir nur eine Dreifarbenlaterne am Masttop an (mit Leuchtdioden, tolle Sache, braucht fast keinen Strom, im Gegensatz zu den normalen Positionslichtern), nur das Windinstrument ist schwach beleuchtet. Die Beleuchtung des anderen wichtigen Instrumentes, des GPS, ist selbst auf der niedrigsten Stufe zu hell, ich schalte sie nur von Zeit zu Zeit kurz ein. Man könnte ihn auch so programmieren, dass die Beleuchtung nach einer gewissen Zeit selber erlischt – überflüssige Spielerei der Elektronikhersteller, die bauen immer ein Haufen überflüssige Funktionen ein, statt die wirklich notwendigen zu optimieren. Das Echolot meldet zum Beispiel von Zeit zu Zeit – zum Glück selten – durch nervöses Piepsen, dass das Wasser tief sei; wie tief, weiss es schon seit 160 Meter nicht, hier ist es nach Seekarte mehr als zweitausend Meter.
Sternenklare Nächte. Wie viele Sterne kann der Mensch mit blossem Auge ausmachen? Tausende? Millionen gar? Und sind die wirklich alle der Wissenschaft bekannt? Ich nehme es an; Lage, Entfernung, Grösse, Oberflächentemperatur, Alter, welche Stoffe sie enthalten – angeblich weiss man über Sterne, die Tausende von Lichtjahren entfernt sind, mehr als über die Tiefe unserer Ozeane.
In der Nacht auf Mittwoch dreht der Wind auf Nordost. Therese notiert im Logbuch: „Unglaubliche Belastung für das Material durch das Schlagen der Segel.“ Auch fürs Schlafen unten ist dies nicht gerade förderlich. Ich übernehme die Morgenwache. Erst um 0730 wird es langsam hell, die Mondsichel und das Sternbild Orion stehen ganz hoch am Himmel. Ich rolle die Genua wieder aus und versuche einmal mehr, platt vor dem Wind einen „Schmetterling“ zu fahren – Genua auf der einen, Gross auf der anderen Seite – obwohl ich es inzwischen wirklich wissen müsste, dass Aneki dies absolut nicht mag. Dabei kollidiert auch noch der Grossbaum mit der Mann-über-Bord-Markierungsboje, weil sich deren Halterung irgendwie verschoben hat – plötzlich baumelt etwas Leuchtendes links am Hardtop, aha, abgeknickt, ich kann mich aber vorläufig nicht darum kümmern, weil ich alle Hände voll zu tun habe mit der Bändigung der wildgewordenen Besegelung. „Thereses Wache beginnt etwas hektisch“ notiere ich später im Logbuch; normalerweise könne man erst mal einen Kaffee trinken, beanstandet sie auch zu recht. Also motoren wir erst mal ein paar Stunden und überlegen, wie wir diesen Wind segelbar machen können. Das Zauberwort heisst: Kreuzen vor dem Wind. Dass man direkt gegen den Wind nicht segeln kann, wissen Alle; man kreuzt, segelt also mal nach links, mal nach rechts schräg gegen den Wind. Platt vor dem Wind – Rückenwind sagen Landratten – geht es aber auch entweder gar nicht oder viel langsamer als ebenfalls etwas schräg zur Windrichtung. Die Strecke wird zwar länger, durch den Geschwindigkeitszuwachs kann das aber wettgemacht werden. Wir setzen also die Genua und den Besan; das Gross nicht, das würde nur die Genua abschirmen, ihr den Wind quasi aus dem Segel nehmen.
Mittwoch, Donnerstag, Freitag vergehen mit dem ständigen Versuch, Aneki so weit bei Laune zu halten, dass sie ihren Unmut nicht mit knallender Genua kundtut, wir dennoch nicht all zu viel zusätzliche Strecke machen müssen. Ohne Seegang wäre dies einfach, je nach dem wie stark Aneki rollt, giert und stampft, um so mehr müssen wir aber anluven. Neptuns Schonfrist ist nämlich definitiv vorbei, nun fängt er langsam an uns zu zeigen, mit welch „lustigen“ Tricks er solchen, die sich in sein Reich begeben, obwohl sie von Natur aus nicht eigentlich dazu vorgesehen waren, beschäftigen kann: wir haben einerseits die nachfolgenden Seen entsprechend dem Wind, dazu aber einen Schwell von genau querab. Beide haben natürlich unterschiedliche Wellenlängen und Perioden, das kann zu den verschiedensten Kombinationen führen, ganz besonders, wenn Therese sich unserem leiblichen Wohlbefinden zu widmen versucht. Mal knallt die Kühlschranktüre gewaltig gegen den Kochherd, mal ergiesst sich ein Pfännchen Milch über die Brenner, Zutaten und Gerätschaften beginnen urplötzlich ein seltsames Ballett, mangels eines Bordorchesters durch meines Täubchens munteren Rufe wie „Himmelarschnomal!“ begleitet – bevor sie Bordfrau wurde, kannte sie solche Texte gar nicht, Reisen im Allgemeinen und zur See im Speziellen bildet ja ungemein.
Dass es sich bei diesem Trip um keine Gourmetreise handelt, liegt nicht an ihr, eher an unserem völlig unbegründeten Vertrauen in die Fertiggerichtindustrie. Das, was sie selber herstellt, ist zwar den Umständen entsprechend einfach, aber dennoch Spitze. Einmal ausgezeichnete Bratkartoffeln – und das aus den wässrigen spanischen Erdäpfel herzustellen ist wirklich hohe Kunst – mit Bratwurst, einmal G’schwällti (Pellkartoffeln) mit in Öl eingelegtem Thunfisch aus Barbate und Käse, als Vorspeise immer einen schönen Salat, für Gaumen und Gesundheit.
Der Donnerstag Abend hingegen bleibt als doppelter kulinarischer Tiefpunkt in Erinnerung: für uns durch ein Fertigreisgericht mit Huhn und Gemüse – klingt gut, oder? war echt gruusig! – und für einen armen Fisch durch Thereses Köder, Angelhaken und Bleigewicht. Gesehen haben wir das Drama nicht direkt, wahrscheinlich hatte sie zunächst einen Fisch an der Angel, den aber ein grösserer samt dem Angelgeschirr verspeiste. Wir hatten aber auch eine Fertigsuppe; geschmeckt hat sie nach nichts, gerochen nach Katzenpisse.
Und was trinkt man zu all dem? Meistens Wasser. Von einer gemütlichen Säuferbude verwandelt sich nämlich Aneki, sobald sie weder durch Leinen noch durch Anker mit der übrigen Welt verbunden ist, in ein trostloses Entziehungsheim: kein Tropfen Wein, Bier, Schnaps, kein Apéro, kein Carajillo (spanischer Kaffe mit einem Schuss Brandy), kein Sherry, nicht einmal ein Schuss Maraschino im Fruchtsalat. Die gute Nachricht ist: anscheinend sind wir nicht alkoholsüchtig, jedenfalls stellten sich keine Entzugserscheinungen ein, ausser das leise Gefühl beim Nachtessen, irgendwie fehle da etwas.
Wir sehen erstaunlich viele Frachtschiffe. Erstaunlich wenig Fischer; erstaunlich, weil angeblich die Gewässer zwischen Marokko und den Kanaren zu den fischreichsten der Welt gehören – oder gehört haben, steht der resignierte Zusatz in unserem Handbuch.
Freitag 0940 nervt uns eine Regenbö – dabei regnet es in dieser Gegend so gut wie nie, steht im Handbuch. Der Wind kommt aus allen Richtungen, zum Glück nur zwischen Stärke zwei und fünf, so ist es nicht stressig oder gar gefährlich, aber lästig. Die nassen Klamotten – erst muss man mit der Situation segeltechnisch klar kommen, die Öljacke aus der Versenkung zu holen muss warten – wären in einer kälteren Gegend mehr als nur lästig gewesen. Der Süden hat schon seine Vorteile, auch wenn er gar nicht immer sonnig ist; Freitag und auch Samstag ist es meist vollständig bedeckt.
Das alles wird aber durch den Dienstplan, seemännisch Wacheinteilung, beherrscht. Drei Stunden sie, drei Stunden ich, der oder die Wachhabende ist im Cockpit, der oder die Freiwache liegt in der Koje. Ganz einfach – in der Theorie. Im wirklichen Leben ist es, wie meistens, viel komplizierter, wir sind nämlich eine Crew und nicht zwei Einhandsegler. Das heisst, dass wir ständig Ausguck halten: jemand sitzt, steht, hängt im Cockpit und versucht aus schlafverklebten Augen andere Seefahrer, Tücken von Wind und Wetter, unsere Instrumente und überhaupt Alles zu erkennen. Wie soll man so aber je zu einer Mahlzeit, ja, auch nur zu einem Glas Wasser kommen, wenn der/die Andere derweil zu schlafen versucht? Ausserdem sind die meisten Segelmanöver zur zweit viel einfacher und sicherer auszuführen. Kreuzen vor dem Wind bedeutet, dass wir von Zeit zu Zeit eine sogenannte Q-Wende fahren müssen. Richtungswechsel durch den Wind macht man beim achterlichen Wind sonst durch Halsen, wenn aber das Grosssegel nicht gesetzt ist, geht das nicht, die Genua würde sich um den Vorstag wickeln. Also Q-Wende: Therese holt das Besansegel dicht – dazu muss sie erst seinen Bullenstander lösen – und verholt den Backstag auf die andere Seite. Vorsichtshalber muss ich dazu bereits etwas anluven; gleichzeitig speichere ich im GPS den momentanen Standort ab und schaue schon mal, dass die Genuaschoten klar laufen. Dann holt sie die Genua dicht, während ich langsam anluve, damit wir für die nun folgende antriebslose Phase genug Fahrt haben. Ich schreie „Kurbel weg!“, lasse die Genua einen Moment lang back stehen damit wir sicher durch den Wind kommen und schreie dann „Schot los!“ Sie schmeisst die eine Schot frei und holt die andere, ich falle ab, sie belegt die Schot, fiert das Besansegel auf und während sie den Eintrag ins Logbuch macht, optimiere ich den Kurs, sie trimmt bei Bedarf die Genua nach, belegt wieder den Bullenstander. Ja, solches und einiges andere machen wir also zur zweit, wenigstens unsere kargen Mahlzeiten wollen wir auch zusammen einnehmen, also wird das schöne Prinzip des „du-drei-Stunden ich-drei-Stunden“ nicht unerheblich modifiziert. Ausserdem lassen sich Körperfunktionen auch nicht beliebig programmieren, man ist nicht drei Stunden topfit und drei Stunden im Tiefschlaf. Sobald ich meine Wache antrete, verspüre ich eine bleierne Müdigkeit, kaum liege ich aber in der Koje, bin ich putzmunter, hirne über solchen Schwachsinn nach, dass ich vor mehr als fünfzig Jahren einem bildhübschen Mädchen ein Pflästerchen auf den Oberschenkel kleben durfte, weil sie mit dem Velo umgeflogen war, dabei taten wir beide so, wie wenn das gar nichts Besonderes wäre, obwohl es sehr besonders war und denke darüber nach, was aus einer solchen Situation hätte werden sollen; dann sage ich mir, fertig, Thomas, du liegst schon eine Stunde da, in zwei Stunden kommt dich Therese wecken, jetzt denkst du mal an nichts... an nichts... an nichts... verdammt, wie hiess eigentlich das Mädchen überhaupt? Wieso schlafe ich jetzt nicht? Ich war doch todmüde. Ach, ich liege ja auf meiner falschen Seite, also umdrehen – nein, das geht jetzt doch nicht, weil Aneki sich auf die falsche Seite neigt, ich drehe mich zurück und schlage dabei auch noch meinen blöden Grind an. „Thomasli, es ist drei Uhr.“ „Ich komme...“ Erst mal pinkeln. Natürlich bei absoluter Finsternis, weil sogar der scheintote Fifi über der WC-Luke festgezurrt ist, es dringst also nicht einmal das spärliche Licht der Sterne ein. Anziehen ebenfalls im Dunkeln – macht man nur eine Minute lang Licht, ist man nachher mindestens eine viertel Stunde wie blind draussen, dann könnte man auf die Wache ja ganz verzichten. So stelle ich eines Morgens beim Ausziehen fest, dass ich meine Unterhose verkehrt anhatte – eigentlich eine gute Idee, statt sie ewig zu wechseln könnte man sie ja erst mal kehren.
Eines nachts – Therese schaltet hie und da doch kurz das Licht im Toilettenraum ein – entdeckt sie da eine Riesenkakerlake. Irgendwo las sie, dass sie, wenn man sie totschlägt, noch schnell hunderttausend Eier aus dem Leib pressen; diese Aussicht versetzt sie vollends in Panik. Sie greift also zu Schwager Oskars Wunderspray – ein recht potentes Mittel das nur an Tierärzte abgegeben wird gegen das Versprechen, es nicht gegen Schwiegermütter und lästige Nachbarn einzusetzen – und behandelt etwa ein Quadratmeter Bodenbrett und den Hohlraum darunter. Als wir beim Wachwechsel noch beide im dunklen Cockpit sitzen, fliegt aus dem Niedergang plötzlich etwas Grosses, Unheimliches, prallt gegen die Decke des Hardtops und entschwindet in der dunklen Nacht. Phü, wird es gedacht haben, fast hätten die Riesen mich noch vergiftet! Ich hoffe, sie ersäuft unterwegs!
Bei einem Spätzchen, das uns sechzig, achtzig Meilen von der nächsten Küste entfernt kurz besucht, hoffen wir beide das Gegenteil. Hoi, Vögelchen, wo kommst Du denn her? Wir wussten gar nicht, dass du so weit fliegen kannst – oder bist du mit einem Frachter gekommen, hast das Ablegen verpennt? (Ob es wirklich ein Spatz oder nur etwas ähnliches war, wissen wir zwar nicht, aber sicher kein Seevogel.)
Es ist nicht einfach. Langstreckensegler gibt es nur aus dem gleichen Grund wie Mütter mehrerer Kinder: sobald die Geburt vorbei ist oder man am Ziel, vergisst frau die furchtbaren Geburtswehen, man das menschenunwürdige Dasein auf Langstrecken.
Freitag nacht ist es wirklich stockfinster. Der Himmel ist bedeckt, ich sehe keinen Stern. Steuerbord voraus scheint der Horizont etwas heller, es könnte der Widerschein der Insel sein, oder aber Mondschein, der weiter vorne durch die Wolken dringt. Abwarten. Der Wind ist unstet, meist zu schwach, wir haben festgestellt, dass noch genug Treibstoff im Tank ist und motoren. Der GPS meint, dass wir eine Stunde vor Sonnenaufgang beim nächsten Waypoint wären, der aber schon nahe der felsigen Küste liegt, da sollte man für alle Fälle etwas sehen; ich reduziere die Drehzahl auf 1800, stelle irgendwann fest, dass es Lichter an Land und nicht am Himmel sein müssen und dann löst mich Therese ab. Ich schlafe etwas, dann weckt sie mich wieder. Wir seien zu schnell gewesen, sie wollte aber nicht weiter die Drehzahl reduzieren, weil mich das sicher geweckt hätte, dabei seien wir beide dringend auf das Bisschen Schlaf angewiesen. Sie geht in die Koje und ich auf knapp über Leerlaufdrehzahl. Während wir an der Hauptstadt der Insel, Arrecife, vorbeifahren, landen etwa fünf Flugzeuge und kommen zwei Fähren an. Sie schläft endlich tief und fest, als ich sie wecken muss: „Komm, in einer Stunde sind wir da.“ Wo „da“, fragt sie noch ganz benommen. „Im Hafen natürlich, da wollen wir doch hin, weisst du nicht mehr?“
Samstag um 1043 machen wir am Wartepier in Puerto Calero auf Lanzarote fest, nach 117 Stunden und 26 Minuten auf See. Das Büro der Marina ist im ersten Stock eines runden, turmähnlichen Gebäudes. Während wir die Treppe hochsteigen, schwankt der Turm ganz erheblich, wir müssen uns links und rechts am Geländer festhalten und ein Fuss nach dem anderen immer im richtigen Moment auf die nächste Stufe setzen, uns genau dem Rhythmus seiner Bewegungen anpassen, wie bei den regelmässigen „Rundgängen“ im Cockpit zwecks lückenloser Horizontbeobachtung und Gangbarmachen unserer steifen Gliedern. Oben angelangt, muss sich Therese zuerst auf eine Treppenstufe setzen, ich lehne mich fest an den Fenstersims und versuche mir einzubilden, der Turm stehe fest. So ist das, wenn man zu lange herumschippert.



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