Gemeinsamkeiten kann ich nur mit einem anderen Menschen haben, den ich respektiere und der mir nicht fremd bleiben will.


  • 06.12.2017 01:51 - Ist die Erde wirklich rund?

EINS

Das fehlende Stück

Einleitung

Die Vorgeschichte dieser Reise ist die Geschichte meines Lebens.

Geboren bin ich als später Nachkomme eines Nomadenvolkes. Der Drang zum Ortswechsel, die ständige Neugier, was hinter dem Horizont verborgen sein mag, muss fest in meinen Genen programmiert sein. Aber als Kind des 20. Jahrhunderts haben mich statt Pferde eher neuere Fortbewegungsmittel interessiert. Ich lernte zwar erst mit vierzehn Rad fahren, ab achtzehn aber Segelfliegen, Auto, Motorrad und Lastwagen fahren – und steckte aber in einer unüberwindlich scheinenden Sackgasse namens Ostblock fest, eingesperrt hinter dem Eisernen Vorhang. Die Gewissheit, jenes Land nie verlassen zu können, nie selber die unzähligen Wunder der grossen, weiten Welt erleben zu dürfen, war für mich schier unerträglich. Trotzdem fing ich schon mit zwölf Jahren an, einen Flug rund um die Welt zu planen, mit einem Kleinflugzeug. Ein Flug über Sibirien war natürlich weder denkbar noch wünschenswert. Somit wäre die längste Strecke ohne Zwischenlandung San Francisco – Honolulu, 3850 Kilometer. Diese magische Zahl habe ich seit bald siebzig Jahren im Kopf.

1956 öffnete sich unerwartet ein Spalt in jenem Vorhang; ich schlüpfte durch. Wozu ich in meinem angeblichen Heimatland politisch nie zuverlässig genug war, durfte ich als Ausländer in der Schweiz problemlos: ich lernte Motorfliegen. Und Jahre später auch noch Hochseesegeln. Im Gegensatz zu einem bekannten Lied ist nämlich die Freiheit nicht über den Wolken grenzenlos, sondern auf dem unendlichen Meer.

Und dann bin ich, ich weiss nicht wie, plötzlich einundachtzig geworden. Zu alt zum selber fliegen oder segeln – aber immer noch mit meinem angeborenen nomadischen Desinteresse an Wurzeln, sprich Fortbewegungsdrang.

Im Laufe der Jahrzehnte kam ich ostwärts bis nach Korea, Japan, Singapur. Westwärts bis nach Kalifornien und Chile. Fuhr durch den Panama-Kanal. Überquerte den Äquator. Umrundete Kap Hoorn. Besuchte die nördlichste Stadt der Welt, Longyearbyen auf Spitzbergen, wie auch die südlichste, Ushuaia in Patagonien.

Fehlt überhaupt noch etwas?

Richtig! Zwischen der Westküste beider Amerikas auf der einen und Fernost auf der anderen Seite klafft noch eine gewaltige Lücke: der Pazifische oder Stille Ozean, mit jenen magischen 3850 Kilometern im Nordosten, Australien und Neuseeland im Südwesten. Und noch etwas: Einer meiner Namensvetter, er lebte vor rund zweitausend Jahren, hiess Thomas der Ungläubige. In gewisser Hinsicht bin ich ihm ähnlich, ganz überzeugt bin ich meistens nur von Sachen, die ich mit meinen eigenen Sinnen erfahren habe. Ich konnte mich inzwischen davon überzeugen, dass Meerwasser tatsächlich saumässig salzig ist, dass es Berge gibt auf deren Höhen selbst im Hochsommer Schnee liegt, Bauwerke so hoch wie die Berge meiner Kindheit, und irgendwo steht sogar ein Turm tatsächlich total schief. Aber ist die Erde wirklich rund? Kommt man, wenn man immer Richtung Westen fährt, irgendwann wieder da an, woher man gekommen ist?

Vamos a ver...

Ausserdem sollte endlich mein teurer schwarzer Anzug amortisiert werden.

Ach so...

Was wahrscheinlich einige interessiert, aber niemand zu fragen traut: Was kostet das eigentlich? Könnt ihr euch das leisten?

Nun, die Preise findet man im Internet. Und was das sich leisten anbelangt: Normale Menschen bereisen in jungen Jahren Europa, Indien und die Welt und kaufen sich im reiferen Alter ein anständiges Auto. Wir machen es halt anders. Aber mehr als einmal werden wir es kaum können – es sei denn, zu meinem Hundertsten...

Die Kosten sind aber nicht das Problem. Wie vor jeder grösseren Anschaffung, stellen wir uns erst mal nur zwei Fragen: Wollen wir das wirklich? Und haben wir das Geld? Wenn die Antwort zweimal Ja lautet, geht es weiter – sonst nicht.

Aber dieses „geht es weiter“ hat es in sich! Ein Freund schrieb, wenn ich dies nicht für uns selber organisieren würde, hätte ich einen halben Jahreslohn dafür zu gut. Tja... für einen halben Jahreslohn würde ich es für andere nicht machen – ausser wenn es meine einzige Einnahmequelle wäre.

Erst mal müssen wir aber...


Hinkommen

Um möglichst gleich mit meinen magischen 3850 Kilometern anfangen zu können, sollen die ersten 9365 Kilometer auf unmenschliche Schnelle, mit zwei Verkehrsflugzeugen bewältigt werden; mit dem ersten sogar in die falsche Richtung, weil Cunard keinen Direktflug von Teneriffa nach San Francisco anbietet. So sind es dann, via München, 12.683 km.

Direktflüge ins Ausland gibt es vom Teneriffa Süd. Mit mehr als 50 Kilo Gepäck wäre ein Taxi nicht übertrieben. Liebe Freunde würden uns zwar auch fahren, wir wollen ihnen und der Umwelt das aber nicht zumuten. Wir bekamen aber den Tipp, am Nordflughafen einen Mietwagen zu holen und ihn am nächsten Tag im Süden abzugeben, das kostet nur etwa einen Drittel vom Taxi. Das machen wir. Die Wirklichkeit ist zwar meistens etwas komplizierter als die Theorie. Es regnet zum Beispiel. Der Tank des Mietwagens – ein ganz neuer Opel – ist fast leer. Therese tankt vorsorglich viel zu viel – der nächste Mieter im Süden wird sich freuen über diesen Beitrag zur Tourismusförderung...

Als es dann Ernst wird, ist alles bestens: Wetter ideal. Der befürchtete Stau findet an diesem Morgen nicht statt, oder erst etwas später. Belohnung für meine Hartnäckigkeit, eher eine Stunde zu früh als eine Minute zu spät abzufahren?

TUIfly erlaubt nur 6 Kilo Handgepäck, der Koffer darf aber – gegen Mehrpreis – 25 Kilo wiegen. Ab München dann aber, gemäss internationalem Standard, 23. Also werden wir in München je zwei Kilo umladen müssen – na ja, wir haben ja sonst nichts zu tun. Das Warten am Gepäckkarussell ist für mich das lästigste bei Flugreisen; nicht zuletzt, weil man nie ganz sicher ist, ob das gute Stück überhaupt kommt. Was ich dabei auch nicht verstehe: wieso erscheinen zwei gleichzeitig aufgegebene, gleiche Koffer mit einem gefühlten Zeitabstand von einer halben Stunde?

Ich wollte unbedingt direkt am Flughafen übernachten. Da ich wohl nicht der einzige mit diesem Wunsch bin, haben geschäftstüchtige Hotelketten diese Marktlücke haarscharf erkannt – es sind selten die billigsten... Es wird aber auch etwas geboten für das viele Geld: im Hilton ist alles nicht nur praktisch und gut funktionierend, sondern auch noch schön, das Personal freundlich und kompetent und das Nachtessen hervorragend. Auf das Frühstückbuffet zu 38 Euro pro Person verzichten wir am nächsten Morgen aber trotzdem.

Im Gegensatz zu Frankfurt ist der Flughafen München übersichtlich. Einchecken geht auch konventionell, nicht nur an Automaten – die Dame ist sehr freundlich. Dass unsere Pässe an vier oder fünf Schaltern kontrolliert werden, hat nichts mit bayrischem Übereifer, sondern mit amerikanischer Sicherheitshysterie zu tun – für Abflüge ins Gelobte Land wurde extra das Hochsicherheitsterminal L gebaut; man kommt aber ohne water boarding rein. Noch...

Dass ein zwölfstündiger Flug sehr, sehr ermüdend ist, können wir Lufthansa nicht vorwerfen. Ich habe gerade noch ausreichend Beinraum, wir werden mehr als ausreichend gefüttert und es werden ständig Getränke angeboten, was beim Fliegen wichtig ist, die Luft in der Kabine ist extrem trocken. Das Flugzeug – eine A 340-600 – ist neuwertig und angenehm leise, sogar die Babys schreien diesmal nur sporadisch und weiter weg. Interessant: Eigentlich ist es ein Tagesflug. Die kürzeste Strecke (Grosskreis) führt aber über Island und Grönland und da tauchen wir zwischen langen Dämmerungsphasen kurz in die Polarnacht ein. In San Francisco ist es dann richtig Abend: wir landen etwa um halb sieben – für unsere innere Uhr halb drei in der Nacht. Wie fühlen uns dementsprechend. Die amerikanische Einreisekontrolle dauert natürlich trotz automatischer Passkontrolle und erleichterter Wiedereinreise mit ESTA (Internet-Visum) fast eine Stunde.

Die Organisation von Cunard ist wie üblich perfekt. Um 22 Uhr Ortszeit fallen wir todmüde ins riesige Hotelbett – geben aber um vier Uhr morgens weitere Schlafversuche auf. Für uns ist das immer noch späterer Vormittag. Therese turnt, ich schreibe... Das echte amerikanische Frühstücksbuffet öffnet erst um acht – worauf vier Stunden zu warten sich allerdings als ziemlich dürftiges Preis-Leistungs-Verhältnis erweist. Dieses Holiday Inn macht auch sonst einen eher antiquierten Eindruck, ohne schön alt zu sein; sogar der Bus, der uns gestern vom Flughafen hier hin gebracht hat, dürfte die erste Million Meilen hinter sich gehabt haben.

Heute läuft es aber cunardmässig. Der Bus ist höchste Klasse. Wir fahren am berühmten Fisherman’s Wharf vorbei, direkt danach ist der Kreuzfahrtterminal. Wir werden genau instruiert, was wir bereit halten müssen, stehen nur kurz in der Schlange, es sind genug Schalter da. Die Dame liest elektronisch unsere Pässe, glaubt ungeprüft, dass wir alle erforderlichen Visa haben – gentlemen lügen ja nie –, registriert meine Kreditkarte, fotografiert uns und gibt uns dann die für die nächsten drei Monate wichtigste Plastikkarte: sie dient als Ausweis, Kabinenschlüssel und Zahlungsmittel. Das Foto ist nicht auf der Karte, sondern im Computer an Bord gespeichert, so kommt niemand mit einer gestohlenen oder gefundenen Karte durch. Noch eine Sicherheitskontrolle – Metalldetektor, Röntgen fürs Handgepäck – und dann: Welcome on board!

Es ist der 4. Februar 2017.


ZWEI

Endlich wieder unterwegs

Nach 69 Jahren der Planung bin ich also endlich seit ein paar Tagen unterwegs! Zwar weder mit einem Kleinflugzeug, noch einer Segelyacht, wichtig ist aber der Zweck, nicht die Mittel – und genau so wichtig ist erstens, dass ich es nicht allein erleben muss, sondern mit Therese zusammen darf und zweitens, dass es nun in menschengerechtem Tempo weitergeht, damit die Seele mithalten kann. Immer dahin, wo die Sonne untergeht. Wo geht sie denn hin, wenn sie untergeht? Ist es wirklich möglich, dass wir so schliesslich wieder unsere Insel finden? Sie ist doch irgendwo hinter uns – ist sie gleichzeitig auch vor uns? Wird sie noch die gleiche sein? Werden wir noch die gleichen sein?

Statt solche philosophische Fragen zu beantworten sollten wir uns aber vielleicht erst einmal mit unserem Zuhause für die nächsten drei Monate vertraut machen. Es ist die Queen Elizabeth, das dritte Schiff dieses Namens der Cunard Line, das dritte, neueste der gegenwärtig aktiven und auch das dritte dieser alten, renommierten Reederei, auf der wir eine Weile mitfahren dürfen.

Ob draussen Tag oder Nacht ist, ob wir fahren oder an der Pier oder vor Anker liegen, wollten wir sehen, ohne die Kabine verlassen zu müssen. Wir wählten diesmal eine Aussenkabine mit eingeschränkter Sicht, nämlich durch eines der Rettungsboote, auf Deck 4. Die Einrichtung kennen wir schon von Queen Victoria und Queen Mary 2 her: riesiges, bequemes Doppelbett, ausreichend Schrankraum, wenn auch etwas weniger als die letzten zwei mal; anscheinend haben Balkonkabinen auch sonst etwas mehr Platz, für diese Reise wäre uns der Preisunterschied aber doch zu gross. Kleines aber zweckmässiges Bad mit Dusche, ein Sofa mit Salontisch, Kühlschrank, kleiner Schreibtisch – wir vermissen nichts.

Fürs Nachtessen haben wir für die ganze Reise einen festen Platz im Britannia Restaurant. Es ist auf zwei Ebenen, Deck 2 und 3, ganz achtern; wir sitzen oben an einem Sechsertisch und haben die Spätschicht, also ab halb neun, wie zu Hause. Wir könnten hier auch frühstücken und zu Mittag essen, erfahrungsgemäss gehen wir aber für die übrigen Mahlzeiten lieber ins Lido Restaurant, mit Selbstbedienung, auf Deck 9 – und üben uns da in Disziplin, man findet hier nämlich 24 Stunden pro Tag immer etwas Verlockendes. Es ist aber nicht weiter schwierig, sich gar nicht erst der Versuchung auszusetzen: das Promenadendeck, wo man um das ganze Schiff spazieren, walken oder joggen, aber auch auf einem Liegestuhl lesen kann, ist auf Deck 3, das Royal Court Theater ganz vorne auf Deck 1, 2 und 3. Ebenfalls drei Decks hoch ist, etwa mittschiffs, die Grand Lobby – will man eine Auskunft haben, Geld wechseln, sucht man Einkaufsläden, muss man erst mal da hin. Gleich daneben, an Backbord, ist die Bibliothek, auch eine wichtige Einrichtung für uns.

Den Rest werden wir wohl nach und nach erkunden: Commodore Club auf Deck 10 vorne – zum Lesen wenn es draussen zu kalt, windig oder nass ist – und darunter diverse Fitnesseinrichtungen und -Programme. Im Queens Room, Deck 2 mittschiffs, findet unter anderen der Nachmittagstee statt. Abends wird da getanzt, was zu Thereses Bedauern nach wie vor meine Sache nicht ist; ich schaue aber gerne zu: einige können es gut, das ist schön und andere gar nicht, das ist lustig. Meistens gibt es Livemusik, aus einer Epoche, wo es noch Klänge und nicht nur Krach gab.


Frauenpower

Zu diesem Thema gibt es viele Bücher aus kompetenterer Feder als meinem Laptop, aus aktuellem Anlass muss ich ihm aber auch ein paar Zeilen widmen. Angefangen hat es schon auf dem langen Flug. Eine Frauenstimme aus dem Lautsprecher verkündete, die Sprecherin sei First Officer (salopp Copilot genannt) und sie werde nun bald in San Francisco landen. Auf dem Schiff begrüsste uns diesmal kein Kabinensteward sondern eine Stewardess namens Shirley. Und dann stellte es sich raus, dass sogar der Captain dieses Riesenkahns weiblichen Geschlechtes ist! Thereses Begeisterung kannte nun keine Grenzen mehr! Sie gehört ja der Generation an, die in der Schweiz kein Stimm- und Wahlrecht hatte und als Ehefrau nicht mal ein eigenes Bankkonto eröffnen durfte. Sie ging auch immer wieder an Demos und kann es kaum fassen zu erleben, dass endlich Frauen auch in solchen „Männerberufen“ Karriere machen können.

Wo es aber wirklich drauf ankommt, hört der Spass doch noch auf: der Chefkoch ist „natürlich“ ein Mann. Ob deshalb auch zwei Ärztinnen mit an Bord sind?

Sie wollte sich aber vergewissern, dass „der“ Kapitän wirklich eine „die“ ist. Im Tagesprogramm steht, dass heute Sonntag ein traditioneller Schiffsgottesdienst stattfindet, unter der Leitung unserer obersten Chefin. Ja, sie sei tatsächlich eine Frau, berichtet sie, nicht mehr ganz jung, so um die fünfzig – logo, sage ich, es brauche schon ein paar Jahre Erfahrung, bis man so ein Schiff bekommt.

Mich hat der Gottesdienst selbst unter weiblicher Leitung nicht sonderlich interessiert, so ging ich lieber zum Purser’s Desk, um unsere Anmeldung für ein Mittagessen für Deutschsprachige abzugeben und auch einen kleinen, zwar nicht sehr wertvoll aussehenden Ohrring, den wir unter dem Bett gefunden haben, als wir die leeren Koffer da verstaut haben. Die sind nämlich, nachdem wir sie noch beim Hotel selber zum Bus geschafft haben, gelegentlich vor unsere Kabinentür hingestellt worden – allerdings durch starke Männerhände.


San Francisco – Honolulu 5. – 9. Februar

Und nun vier Tage auf See bis Honolulu, Hawaii, 2079 Seemeilen – Entfernungen rechnen wir die nächsten drei Monate in Seemeilen, wie schon in einem früheren Leben sechs Jahre lang.

Dritte Kreuzfahrt in drei Jahren – es ist zwar nicht mehr alles so sensationell wie das erste mal, dafür kennen wir uns von Anfang an viel besser aus, verlaufen uns weniger, finden schneller raus was, wann, wo. So nehmen wir gleich am ersten Morgen die vorgesehenen Walking-Runden in Angriff – brechen allerdings bereits nach einer Runde (etwas mehr als 500 Meter) ab, wegen zu starkem, saukaltem, salzwasserhaltigem Wind. Als Anfänger hätte ich auch nicht auf Anhieb gewusst, wo ich an diesen zwölf, je dreihundert Meter langen Decks eine Schale Müsli finde, zwecks Wiederherstellung meiner reisebedingt etwas durcheinandergeratenen Verdauungsfunktionen. Da kann Therese auch ein Messer klauen, weil sie nach den allerneuesten Erkenntnissen der Wissenschaft die Wirkung irgendeines natürlichen Cholesterinsenkers durch die tägliche Einnahme eines Apfels unterstützen muss. Sie findet auch raus, dass heute eine deutschsprachige Schiffsführung stattfindet. Viel neues kann uns die Dame zwar nicht zeigen, da und dort bekommen wir aber doch ergänzende Info – man lernt ja nie aus. Am Schluss gibt sie uns sogar noch eine durch den Chefingenieur verfasste Beschreibung der wichtigsten technischen Einrichtungen. So erfahre ich endlich, wonach ich lange erfolglos im Internet gesucht habe: mit welcher Stromart die elektrischen Antriebsmotoren betrieben werden und wie ihre Leistungsregelung funktioniert. Die Übersetzung von Englisch ins Deutsch muss allerdings Frau Google oder sonst jemand, der von Technik keine Ahnung hat, erstellt haben, was den Vorteil hat, dass mir die paar Seiten nebenbei Heuteshow und Satiregipfel ersetzen.

Während ich unseren übernächsten Landausflug umbuche, weil Therese etwas viel interessanteres entdeckt hat, geht sie zu einer Turnstunde. Ausser ihr erscheint da aber heute niemand, sie kann sich aber schlau machen lassen, was das Wort „kostenpflichtig“ auf dem Infoblatt konkret bedeutet: die „Klasse“ koste 36 Dollar. Was heisst das, „die Klasse“, für wie lange? Für die ganze Reise? Oder pro Teilstrecke? Nein, 36 Dollar pro Person für jeweils 30 Minuten! Sie fragt auf ihre direkte Art nach, ob das ernst zu nehmen sei. Yes, sagt der Trainer – sie könne natürlich auch individuelle Trainingsstunden buchen. Was das kosten würde, will sie gar nicht wissen; sie sagt nur, dass sie Rückenprobleme habe, kennt aber ihre Übungen ohne Hilfe genau, sie wüsste nur nicht, wo sie sie machen könnte. Ach, sie könne doch jederzeit eine Matte nehmen und sie irgendwo, wo gerade Platz ist, hinlegen, da sagt kein Mensch was. Na also!

Am zweiten Morgen – ist es wirklich erst der zweite? – bin ich immer noch ungewöhnlich früh wach. Dies könnte sogar zu Dauererscheinung werden, wir fahren ja die nächsten drei Monate immer gegen Westen – go west, young man, hiess es schon in den Pionierzeiten Amerikas – müssen also alle paar Tage die Uhren um eine Stunde zurücksetzen. Wir werden noch unseren Tagesrhythmus finden müssen. Die heutige Versuchsvariante: kurz nach sechs kam ich ins Lido Restaurant hoch, machte mir einen guten, starken Tee – wieso soll ich in der Kabine unseren teuren Wasser trinken, wenn hier alles „gratis“ ist? – und nun schreibe ich. Draussen war gerade noch finstere Nacht, jetzt ist der Himmel aber bereits eine Spur heller grau als das Wasser. Therese will um sieben zum Gruppen-Morgenturnen gehen. Irgendeine Veranstaltung um diese Zeit wäre auf Teneriffa völlig undenkbar, sagte sie als sie ging, auch schon einigermassen wach. „Das ist doch egal, wir sind nicht auf Teneriffa“, erwiderte ich. Um acht treffen wir uns wieder in der Kabine und gehen Müsli essen, dann sehen wir weiter.

Ich glaube, ich mache noch einen Tee.

Und nun, am dritten Abend, ist es wieder soweit: Ich bin angezogen, wie ein... wer zieht sich eigentlich so an? ein Beerdigungsunternehmer? nein, der hat wahrscheinlich auch eine schwarze Krawatte an, meine ist dunkelrot... na, egal, Therese hat das letztemal gemeint, ich sei schön so. Vor dem Nachtessen sind wir und alle anderen, die in San Francisco zugestiegen sind, von der Kapitänin Inger Klein Thorhauge zu einem Willkommens-Cocktail eingeladen, wo es erfahrungsgemäss zwar keine Cocktails, sondern Sekt – schweizerisch Chlöpfmoscht – geben wird.

Es gibt zwei Schlangen: Für diese, die zusammen mit Frau Kapitän fotografiert werden wollen, eine lange, langsame und für jene, die sich mit einem warmen Händedruck eines anderen Offiziers zufrieden geben, eine etwas kürzere, schnellere. Die Wahl meiner Frauenrechtlerin ist wohl klar... Nun, die Dame kann nicht nur ein dreihundert Meter langes Schiff sicher von A nach B führen und nebenbei einer tausendköpfigen Crew und zweitausend Passagieren mächtiger als Gott vorstehen. Es ist ja schon auf einer kleinen Segelyacht so: zuoberst in der Hierarchie steht der Skipper. Darunter ist der liebe Gott. Und weit, weiter unten kommen alle anderen. Anders wird man mit den mächtigsten aller Mächte, der Natur und der unendlichen See, nicht fertig. Nun, unsere Oberste Dame kann auch noch, mit einem strahlenden Lächeln, das Gefühl vermitteln, es sei ein Höhepunkt ihrer Karriere, ausgerechnet uns auf ihrem Schiff dabei zu haben. Ich bin beeindruckt.


DREI

Freud und Leid...

Zuerst der Ärger: wir bekommen ein Brief, dass Therese entweder kein australisches Visum hat oder ihr Antrag war fehlerhaft. Nach dem deutschen Mittagessen gehe ich also zum Purser’s Desk. Es ist das altbekannte Problem im Computerzeitalter. Ob man einen Tagesausflug oder eine Weltreise bucht, oder eben ein Visum beantragt, gibt es zwei Bedingungen, die unbedingt erfüllt werden müssen, die sich aber gegenseitig ausschliessen: 1. Der Name muss genau so geschrieben werden, wie er im Pass steht. 2. Kein Eintrag (Name, Geburtsort usw.) darf „ungültige Zeichen“ enthalten. Und welche Zeichen als ungültig zurückgewiesen werden, entscheidet das englische Alphabet – und es enthält weder c mit Schwänzchen, noch n mit Welle und auch keinen ä, ö, ü. Meines Täubchens Name – nicht nur „Täubchen“ sondern auch Häfliger – enthält aber nun mal ein ä. Woraus, je nach Software oder Zufall, entweder ein a (diesmal in Australien), oder ein ae (bei Cunard) wird. Ich hoffe, die freundliche Dame kann dies in Ordnung bringen. Es wäre dumm, wenn die Queen Elizabeth wegen einem ä nicht in Australien anlegen dürfte – oder nur, wenn Therese mit Handschellen in der Bilge eingesperrt wird.

Nun aber die Freude: Als wir vom Nachtessen zurückkommen, ist es in der Kabine zunächst dunkel – sonst macht Shirley immer, wenn sie unser Bett für die Nachtruhe vorbereitet, alle Lichter an. Als es uns endlich gelingt, Licht ins Dunkel zu bringen – es gibt einen etwas eigenwilligen Hauptschalter – ist das Bett voller Geschenke. Ich bekomme eine Mütze (schweizerisch Dächlikappe), Therese eine schöne, praktische Tragtasche, nebst je einer kleinen Weltkarte mit unserer Reiseroute drauf.

Am 7. Februar, den dritten Tag, bin ich immer noch abartig früh wach. Tee trinken, Wetter begutachten: an die 40 Knoten Wind fast genau auf die Nase, mit unserer Fahrt von 19 Knoten ergibt das fast 60 Knoten scheinbaren Wind, also empfundene Orkanstärke – Walking an Deck weniger empfehlenswert. Wir gehen gelegentlich zusammen etwas essen, Therese danach in eine spezielle Turnstunde, die auf Stühlen sitzend stattfindet. Im Commodore Club wird die Bar erst eingerichtet, es ist also noch kein Kaffe zu haben. In der Kabine ist gerade Shirley tätig. So komme ich auf die Idee, statt draussen auf Deck 3 hier drin auf 4 in diesem schier endlosen Korridor zu marschieren, bis sie fertig ist. Landschaftlich gibt das zwar nicht viel her, Bewegung ist aber Bewegung. Zum Glück ist sie nach zwei und halb Runden fertig.

Um 11 Uhr besuchen wir eine Englischstunde bei einer der zwei deutschen Betreuerinnen. Sie heisst Vanessa; Sprachen lerne ich ja immer bei einer Vanessa. Das Niveau ist relativ niedrig, trotzdem lernen wir etwas dazu – oder etwas wieder, was wir schon mal gewusst haben.

Mittwoch, 8. Februar, vierter Tag auf See. Die Sonne fängt an sich zu zeigen, der Wind hat auf Nordwest gedreht und ist etwas abgeflaut, „nur“ noch etwa 30 Knoten. Ob ich mal eine Runde drehen kann? Vamos a ver.

Hawaii, 9-10. Februar

Wie immer noch üblich, werde ich sehr früh wach. Kurz nach sechs stehe ich auch auf, mache eine Katzenwäsche, ziehe mich an und gehe auf das oberste für Passagiere zugängliche Deck. Kurz vor Sonnenaufgang ist es sagenhaft schön. An Steuerbord bereits die Inselkette: Berge, einige beleuchtete Ortschaften, Morgenröte. Glatte See, im Wesentlichen nur Fahrtwind. Einige wenige andere Passagiere – wenn das Schiff gross genug ist, findet man immer irgendwo ganz ruhige Orte. Nach einer Weile gehe ich runter ins Lido-Restaurant. Es steht ein längerer Landausflug auf dem Plan, es muss also ein richtiges english breakfast sein: Rühreier, Würstchen, Speck, weisse Bohnen, Pilze, gegrillte Tomate, Kartoffeln, dazu Grapefruitsaft, danach ein starker Tee – ich nehme immer zwei Beutel – mit einem Schuss Milch.

Noch ein kleiner Rundgang. Inzwischen leuchtet schon die Sonne kräftig. Um 6 Uhr war es 21 Grad, es soll heute schön und trocken bleiben. Zurück in die Kabine. Therese ist wahrscheinlich beim Frühstück, so kann ich ungestört unser Bad benutzen, um es diesmal ganz wohlerzogen auszudrücken – ja, auch Zähne putzen... Irgendwann legen wir, sanft und unbemerkt wie immer, in Honolulu an.

Kurz nach neun müssen wir uns im Queen’s Room einfinden und diesmal auch die Pässe dabei haben. Ich habe sie vorsorglich schon am Abend aus dem Tresor genommen und hoffe, dass nicht der halbe Landgang aus einer amerikanischen Passkontrolle bestehen wird.

Besteht nicht, wir kommen schnell und problemlos zu unserem Bus, der auch pünktlich abfährt. Unser Fahrer und Führer heisst Pedro; er kann gleichzeitig Bus fahren und ununterbrochen reden. Hie und da verstehen wir sogar etwas...

Falls es nicht restlos allen Lesern bekannt sein sollte: Pearl Harbour bei Honolulu war 1941 Heimathafen der amerikanischen Pazifik-Flotte und auch der Ort, wo der Zweite Weltkrieg im Pazifik begann, mit dem Überfall der Japaner am 7. Dezember 1941. Da fahren wir als erstes hin. Wir schauen zwei kleine aber interessante Museen an und dann eine Filmvorführung, wo es kurz erläutert wird, wie es überhaupt dazu gekommen ist und vor allem der Ablauf mit historischen Filmdokumenten (jedenfalls glaube ich nicht, dass es nachgestellte resp. Trickaufnahmen sind) gezeigt wird. Es ist sehr eindrücklich, als der Film fertig ist und die Lichter wieder angehen, herrscht zunächst Grabesstille im Saal, erst nach längerer Zeit stehen die ersten zögerlich auf und gehen schweigend auf den Ausgang zu.

Mit einem grossen Tender bringt uns die US Navy zum Arizona Memorial: zum Wrack des total zerstörten Kriegssschiffes USS Arizona. Es liegt im seichten Gewässer und ist auch letzte Ruhestädte der Besatzung. Darüber ist, in Brückenform, eine Art Denkmal errichtet. Die Namensliste der Gefallenen ist auch viel aussagekräftiger als wenn man nur die Zahl sieht oder hört: insgesamt sind in jenen zwei Stunden 2400 Amerikaner gestorben – und weniger als 100 Japaner.

Wir fahren danach, mit einem kurzen Zwischenhalt, quer durch Honolulu. Es gibt moderne Hochhäuser, ein paar schöne, alte Paläste, nette Grünflächen mit interessanten, exotischen Bäumen und die älteste Chinatown der ganzen Vereinigten Staaten.

Letzte Station ist ein sehr schöner Aussichtspunkt. Die Ähnlichkeit zu dem Anaga-Gebirge auf Teneriffa ist verblüffend, die zwei Insel sind geologisch nahe verwandt, die Vegetation auf Hawaii ist aber noch grüner, üppiger, hat auch noch mehr endemische Arten; es ist die abgelegenste Inselgruppe der ganzen Erde.

Wir sind gerade rechtzeitig zum Nachmittagstee zurück, der oft auch Fünfuhrtee genannt wird, obwohl er hier von halb vier bis halb fünf stattfindet. Cunard hat dazu eine eigene Teesorte kreiert. Es werden dazu kleine salzige und süsse Häppchen gereicht. Wir finden ihn sehr viel bekömmlicher als den germanischen Vorschlaghammer namens Kaffee und Kuchen. Mal abgesehen von den ebenfalls dazugehörenden scones – einmal pro Schiffsreise muss man aber schon mal eine einnehmen, lecker sind diese kleinen Kalorienbomben schon.

Therese war schon einmal im Theater, es gab country and western songs. Für heute hat sie wieder etwas im Programm entdeckt: hula irgendwas, hawaiianische Folklore. Eine Frau und zwei Männer spielen Gitarre und singen, eine Anzahl Mädchen tanzt, die jüngste schätzt Therese auf maximum sieben Jahre, ich etwa zehn. Nette Unterhaltung. Danach bleibt uns noch Zeit bis zum Nachtessen für ein Aperitiv, mit Begleitung durch einen Pianisten.


VIER

Am nächsten morgen werde ich erst um halb sieben Wach; ob meine zeitliche Anpassung Fortschritte macht, werde ich erst in einigen Tagen wirklich wissen. Es gibt ungewöhnliche Geräusche von aussen. Ob gerade unser Anker fällt? Nein, sagt Therese, der ist schon unten – sie war offenbar schon vor mir wach, was sonst auch kaum vorkommt – jetzt lassen sie die Tender runter. (Sie würden bei Bedarf, was wahrscheinlich nie eintreten wird, auch als Rettungsboote dienen.) Einer ist ja direkt vor unserem Fenster.

Nach Morgentoilette und Frühstück fahren wir mit einem an Land. Wir sind auf der Insel Maui. Honolulu liegt auf Oahu, was – das haben wir gestern gelernt – als oh-achu ausgesprochen wird. Der Bus ist wie gestern und hat die gleiche, seltene Eigenschaft: die Lautsprecheranlage ist einwandfrei, wenn wir nicht alles verstehen, liegt es also nicht daran. Aber man muss gar nicht alles verstehen, sowohl der gestrige als der heutige Fahrer redet ununterbrochen – weniger wäre mehr.

Wir fahren entlang der Küste. Die Landschaft ist anders: gestern war sie zum Teil urwaldmässig üppig, heute eher Grasland. Gelegentlich sind wir am Ziel: Maui Ocean Centre. Nebst viel Information über Meeressäuger wie Wale und Delphine sind es vor allem Aquarien; kleine, mittlere, riesige. Einmal mehr bewundern wir die unwahrscheinliche Formen- und Farbenvielfalt von Fischen und anderen Meeresbewohner, manche sind wunderschön, andere eher skurril. Nach einem Drink – wie überall in Amerika zu 80 Prozent aus Eis bestehend – fahren wir wieder mit Bus und Tender nach Hause. Nach dem gestrigen schönen Tag war es heute bedeckt und trüb, am späteren Nachmittag können wir aber eine Weile an der Sonne sitzen. Ich lese mein Buch fertig – die Bösen sind tot, die braven haben überlebt, wie es sich gehört – und hole zwei neue. Unterwegs konsultiere ich noch das heutige Menü; wie üblich, kann man von jeweils je sechs Vorspeisen, Hauptgerichte und Desserts wählen. Ich glaube, ich nehme die chicken noodle soup, danach Salat (das ist zusätzlich, fakultativ), als Hauptgericht den red snapper, einen Fisch; Dessert weiss ich noch nicht.


Von Hawaii nach Samoa, 11-15. Februar

Vier Tage auf See zur Erholung, nach den zwei Tagen Stress und Hektik. Für die Rechengenies unter den werten Lesern: ja, 11 bis 15 sind eigentlich 5... nun, der 14. Februar findet für uns nicht statt. Weg, futsch, gestohlen. So ist das, wenn man reist. Es passieren ungeahnte Sachen. Schon kurz nach sechs Uhr morgens, noch vor dem Frühstück. Frühstücken tue ich ja sonst auch nie... sage ich doch... ungeahnte Sachen... Auch im Restaurant. Ich gehe hoch, lege mein mitgebrachtes Buch auf einen Tisch, gehe Tee machen. Das Lido Restaurant nimmt fast die Hälfte von Deck 9 ein. An Steuerbord und an Backbord sind gegen aussen unzählige Tische und Stühle, gegen Mitte die Buffets. Der Bereich Mittschiffs ist crew only, da sind wohl Küchen, andere Arbeitsbereiche, vielleicht auch Kühlräume. Es gibt aber ein paar Verbindungen, wo zum Beispiel die Tränke ist: Zapfhähne für Säfte und Eistee, Kaffee, Milch, Schubladen mit vielen Teesorten, Heisswasserspender, Zubehör. Da mache ich also meinen Tee, gehe zurück zu meinem Tisch – mein Buch ist weg. Ich schaue die andere Tische an; nichts. Aber ich weiss doch, dass es dieser Tisch war! Es taucht ein Kellner auf. „Ich liess doch hier mein Buch liegen.“ „Gestern?“ „Nein, heute, vor fünf Minuten.“ „War es nicht die andere Seite?“ „Nein!“ – ich bin ganz sicher, bin doch nicht blöd! Ein paar Minuten später kommt er mit meinem Buch. Es lag auf der anderen Seite.

Wenn einer nach einer Woche immer noch nicht weiss, wo vorne und hinten, links und rechts ist... was soll man dazu sagen? Nun ja, draussen ist es noch dunkel – wenn ich das Wasser sehe, weiss ich wenigstens, in welche Richtung wir fahren. Du glaubst es nicht: selbst das wissen nicht immer alle. Der Wissensvorsprung nach sechs Jahre Leben auf See ist allerdings enttäuschend bescheiden... Ein wirklich einmalig schöner Sonnenaufgang entschädigt mich aber für den Frust.

Als ich in die Kabine zurückkehre, macht Therese sich und die Kabine bereit für ihr Morgenturnen. Weil dafür auch mein Schreibtischstuhl aus dem Weg geschafft werden muss, nehme ich meine Stöcke und drehe drei Runden an Deck drei. Wir müssen heute unsere Pässe abgeben, damit die Einreiseformalitäten für die restlichen anzulaufenden Länder erledigt werden können. Ich erledige das während Therese zu chairobic geht, ihre Sitz-Turnrunde.

In Hawaii hiess es, da gäbe es nur zwei Jahreszeiten: Sommer und Sommer. Es besteht Hoffnung, dass wir ein paar Wochen im Bereich des Sommers bleiben und somit irgendwo draussen lesen können. Das machen wir bis zur Englischstunde. Viel lernen wir da nicht, aber es ist lustig.

Sonntag, 12. Februar, 07:15 Uhr – so lange habe ich auf dieser Reise noch nie geschlafen! Es wird Zeit, dass man die Uhren wieder umstellt. Heute Nacht ist es soweit. Sonst ganz leichter Wind, glatte See, der Pazifik macht seinem Namen – Stiller Ozean – alle Ehre.

Mein Tagesablauf scheint langsam Struktur zu bekommen. Gegen acht Uhr trinke ich etwas im Lido – warum soll ich das teure private Wasser in der Kabine brauchen, wenn dort oben alles gratis ist – und gehe dann meine Walking-Runden drehen. In der Kabine tausche ich Stöcke gegen Buch, fahre wieder ins Lido hoch, esse mein Müsli und gehe dann weiter Richtung Bug, wo es im Poolbereich schöne, bequeme, sowohl schattige als auch sonnige Plätze gibt zum Lesen. Weiter bin ich noch nicht.

Ich bin immer wieder beeindruckt von der Sorgfalt, mit der dieses Schiff gewartet wird. Man trifft immer wieder Malequipen, die Stellen ausbessern, wo ich noch keinen Handlungsbedarf wahrnehme. Heute, beim lesen, hing ein kleiner gelber Kasten an einem Träger, auf seinem Deckel mit einem roten Telefonsymbol. Solche und ähnliche Sachen gibt es auf dem Schiff Hunderte, weltweit Milliarden. Sie haben eines gemeinsam: sie sind immer mehr oder weniger verstaubt oder verdreckt. Nicht hier! Ein junger Typ reinigte ihn mit einer Hingabe, wie wenn es die Kronjuwelen der Königin wären und besserte dann mit einem Wattestäbchen da und dort ein paar Punkte des Anstrichs aus.

Der Maschinenraum ist leider für Passagiere unter keinen Umständen zugänglich; zu laut, zu gefährlich. Ich bin aber sicher, dass dort eine ähnliche klinische Sauberkeit herrscht, wie ich sie im Grossmaschinenbereich nur in einem schweizerischen Atomkraftwerk erlebt habe.

Korrektur: Jeden Mittag um zwölf erfolgt eine Durchsage von der Brücke. Gerade erfahre ich, dass heute Nacht nicht die Uhr eine Stunde zurückgesetzt wird, sondern das Datum um einen Tag vor – es entfällt also nicht der 14, sondern der 13. Februar. Ob weil wir ein Tag früher als ursprünglich geplant die Datumsgenze passieren, oder aus Aberglaube, weiss ich nicht. Der eigentliche Grund dürfte aber auch sein, dass damit ausgerechnet der Valentinstag entfallen wäre – das geht schon gar nicht, ist es doch der wichtigste Tag des weltweiten Detailhandels, somit natürlich auch der vielen Geschäften an Bord. Immerhin bekommen aber alle Damen eine rote Rose geschenkt und die Gutenacht-Schokolade auf dem Bett ist an diesem Tag nicht rechteckig, sondern herzförmig.

Am nächsten morgen ist es soweit: gestern war Sonntag der 12, heute ist Dienstag der 14. Ich habe etwas Mühe, dies meinem Laptop, inklusive die aktuelle Uhrzeit, beizubringen – ich habe darin ja keine Übung und weil ich keine Internetverbindung habe, geht es nicht automatisch. Wir bekommen auch je eine tolle Urkunde. Morgen werden wir wohl die nächste bekommen: in weniger als drei Stunden überqueren wir auch noch den Äquator. Neptun macht sich sicher schon bereit für die Äquatortaufe jener, die dies das erste mal an Bord eines Schiffes machen. Das ist eine lustige Zeremonie, welcher wir aber diesmal nicht beiwohnen wollen; sie findet unter der prallen, äquatorialen Mittagssonne statt und die hat es in sich. Therese hat sich ihr gestern ganze zehn Minuten lang ausgesetzt, mit dem Resultat, dass ihr Heldenbrust nun auffallende Ähnlichkeit mit der japanischen Flagge hat, wenn auch der knallrote Fleck im weissen Feld nicht ganz rund geraten ist.

Um 11 Uhr hören wir einen Vortrag über Korallen und Korallenriffe im Theatersaal. Tolle Bilder – vom Text verstehen wir nicht gerade viel. Danach kaufe ich einen Hosengurt, weil meine schöne braune unaufhaltsam zerreisst. Ich müsste auch ein neues Brillenbändsel haben, das gibt es aber hier nicht. Therese schaut Schmuck an – ich mache sie darauf aufmerksam, dass wir das nicht brauchen. In diesem Moment kommen zufällig unsere zwei neuen Tischgenossinnen des Weges und deuten lächelnd an, dass sie diese Meinung gar nicht teilen.


FÜNF

Mittwoch morgen um etwa halb acht ist die Lufttemperatur 27, die Wassertemperatur 30 Grad! Das liest sich harmlos, die unwahrscheinliche Ladung der im Wasser gespeicherten Wärmeenergie kann aber unter gewissen Voraussetzungen gewaltige Stürme entfesseln. Vorläufig scheinen diese gewisse Voraussetzungen nicht vorhanden zu sein – ich hoffe, es bleibt dabei. Wir haben leichten achterlichen Wind, womit der scheinbare Wind nicht mehr als ein leiser Hauch ist. Ich mache fünf Walking-Runden. Vorsätze zu fassen ist meine Gewohnheit nicht, weder wenn die Jahreszahl wechselt, noch zu irgend einem anderen Zeitpunkt, habe aber gewisse Vorstellungen – mit fünf Runden bin ich vorläufig zufrieden.

Morgen früh legen wir in Apia an, der Hauptstadt von Samoa. Warum sie die Hauptstadt ist, hat einen einfachen Grund: sie ist die einzige Stadt dieses Landes. Und diese Tatsache ist auch das einzige, was ich von diesem Land – ja, es ist ein eigenständiges Land – weiss. Vielleicht sollte ich noch die paar Seiten Information lesen, die gestern in unserem Briefkasten steckten, der zwar kein Kasten ist, hält aber unsere Post fest. Erst mal gehe ich aber ins Theater, wo heute der Captain einen Vortrag hält mit dem Titel Virtueller Brückenrundgang; das interessiert mich natürlich. (Für nautische Banausen: gemeint ist nicht die Golden Gate Bridge oder ähnliche Bauwerke, sondern die Kommandobrücke.) Therese wollte lieber die Englischstunde besuchen, daraus wird aber nichts; eine Waschmaschine war gerade frei, so hat sie davon Gebrauch gemacht und nachher muss sie auch noch den Tumbler benutzen – Wäsche aufhängen an Deck ist hier nicht üblich.

Um halb eins treffe ich Therese wieder in der Kabine. Sie möchte richtig zu Mittag essen; ich nicht, eine richtige Mahlzeit pro Tag deckt meinen Energiebedarf. Der Vortrag des Captains ist sehr interessant, obwohl ich das Gesprochene nach wie vor mehr schlecht als recht verstehe – er hat aber gute, aussagekräftige Bilder projiziert und dass ich von Technik und Navigation doch einiges weiss, half auch. Er erklärte auch die Positionslichter: Steuerbord (rechts) grün. Backbord (links) rot, achtern (Heck) weiss. Das ist wichtig, nachts erkennt man daran, in welcher Richtung ein anderes Schiff fährt, ob Kollisionsgefahr besteht, wer Vortritt hat. Um Irrtümer auszuschliessen, sind alle Kapitäne bei Cunard mit einer Hightech-Einrichtung ausgerüstet, sagt er, zieht seine Hosenbeine etwas hoch: am linken Fuss trägt er eine rote, rechts eine grüne Socke.

Um zwei gehen wir wieder in den Theatersaal, ins Kino. Erwähnenswert ist noch das Theater selber – manche kleinere Stadt wäre froh, ein so grosses, schönes zu haben. So ein Schiff wird oft schwimmende Stadt genannt, der Vergleich ist aber doch etwas gewagt: Es gibt so gut wie keine Kinder, somit auch keine Schulen. Abgesehen von ein paar Rollstuhlfahrer und den Lifts nur Fussgänger. Niemand hat eine eigene Küche, so gibt es natürlich auch keine Lebensmittelgeschäfte oder Märkte. Aber immerhin dreitausend Einwohner, wovon ein drittel Berufstätige.

Der Film hat den Titel Sully; die Geschichte der berühmten Notwasserung auf dem Hudson, die Flugkapitän Sullivan den Titel Held vom Hudson eingebracht hat. Eine grossartige Pilotenleistung, vom Regisseur Clint Eastwood meisterhaft umgesetzt.

Die schlechte Nachricht: ich bekomme eine Erkältung.


Samoa, Tonga und weiter, 16-20. Februar

Apia, Samoa.

Der Bus ist diesmal kleiner, einfacher, aber immerhin auch klimatisiert – bei dieser Hitze hat nicht einmal Therese etwas dagegen.

Wir halten zuerst bei einer Strandpromenade. Wo allerdings niemand promeniert, ausser der Nutzlast unserer Busse. Ein paar Einheimische baden; ein ganz nackter kleiner Bub, eine von Kopf bis Fuss in blauem Gewand gehüllte Frau, die wenigen anderen normal. Nächster Halt: die grosse Markthalle. Früchte und Gemüse, auch einiges, was wir nicht kennen. Viele Kokosnüsse. Die Avocados sind grösser und birnenförmiger als bei uns. Fleisch und Fisch sehen wir nicht, obwohl das auch gegessen wird; das kauft man offenbar anderswo. Es gibt aber auch Klamotten und Souvenirs. Therese kauft ein grosses, schweres Stück dunkles Holz, geschnitzt, innen hohl, wenn man draufschlägt, klingt es laut. Ich habe keine Ahnung, was sie damit beabsichtigt. Ihr nächstes Stück ist eine Halskette – sie sagt, alles, was Frauen sich um den Hals hängen, nennt man Kette, diese besteht aus winzigen, braunen Samen.

Die Kathedrale hat die wahrscheinlich schönste Schiffbaudecke, die wir je gesehen haben; ausserdem schöne, bunte Glasfenster. Die Orgelpfeifen sind nicht zinnfarbig, sondern braun.

Zuletzt besuchen wir das ehemalige Wohnhaus des Schriftstellers Robert Louis Stevenson, welcher seine letzten vier Lebensjahre Ende des 19. Jahrhunderts hier verbracht hat. Wir müssen die Schuhe ausziehen. Grosses Haus in einem schönen, grossen, parkähnlichen Garten, eher bescheiden eingerichtet. Viele Fotos: sehr schöne, schlanke, gut gebaute Frauen und Männer. In den 120 Jahren seitdem sind zwei sehr bedauernswerte Sachen passiert: Die christlichen Kirchen – es gibt hier unzählige – haben durchgesetzt, dass keine nackten Oberkörper mehr gezeigt werden, weder von Männern (was ich zwar als keinen grossen Verlust sehe), noch von Frauen. Und das Durchschnittsgewicht der Menschen dürfte sich verdoppelt haben, man sieht fast nur dicke, noch dickere, sehr dicke.

Mit meiner Erkältung bin ich nicht unglücklich, dass wir kurz nach zwölf wieder zu Hause sind. Die Symptome sind zwar nicht sehr ausgeprägt, ich kann normal atmen, huste wenig, ein bisschen tropfende Nase und Halsweh, aber ziemlich beeinträchtigstes Allgemeingefühl. Noch hoffe ich auf baldige Besserung.

Tonga ist zu weit weg, um es in einer Nacht zu erreichen, zwei Nächte und ein Tag sind aber mehr als ausreichend. Wir fahren deshalb langsamer als sonst, nur 13-14 Knoten. Eine Zeit lang fahren wir entlang der Datumsgrenze Richtung Süden: an Backbord ist Mittwoch, an Steuerbord Donnerstag.

Freitag – gilt nun wieder für das ganze Schiff – ist der Himmel bedeckt, gelegentlich regnet es. Dieses Wetter sei typisch für die Jahreszeit, es ist Regenzeit.

Unwahrscheinlich, wie lange man auf dem Meer fahren kann, bis man irgendwo wieder auf Land trifft! Von Apia nach Nuku Alofa, Hauptstadt des Königreiches Tonga, auf der Insel Tongatapu, sind es aber nur ein Tag und zwei Nächte. Es bräuchte aber nicht viel, um an dieser kleinen Insel vorbeizufahren – wo träfe man dann wieder Land? Antarktis? Oder würde man auch an Antarktis vorbeifahren und dann wieder hoch nach... Afrika? oder wäre man wieder im Atlantik, nächster Halt am Rande des arktischen Eises? – falls er nicht schon geschmolzen wäre? Zum Glück sind da vorne oben ein paar Typen mit roten und grünen Socken, welche die schöne und wichtige Kunst der Navigation beherrschen. Tausend Jahre lang wurden immer jene Nationen reich und mächtig, welche die besten Navigatoren hatten. Zuerst die Araber, welche die Schätze Indiens nach Europa brachten. Dann haben aber die Portugiesen die Seeroute um Afrika herum entdeckt und ausgebaut – das Geschäft der Araber war futsch. Nach ihnen kamen aber die Spanier – sie eroberten die halbe Welt, wussten aber nichts damit anzufangen. Die Engländer kamen spät, wurden aber die mächtigste Seefahrernation aller Zeiten. Cunard wurde noch in dieser Zeit gegründet, sie wird nach wie vor als eigenständige Reederei geführt, gehört aber inzwischen Amerikanern. Die Geschichte der Seefahrt ist die Geschichte der Menschheit.

Wir verfolgen hier aber die aktuelle Seefahrtsgeschichte. Gehen auf das offene Deck 11 und begreifen zunächst gar nichts. Wir waren schon in der Nähe der Pier, die wir für unseren Liegeplatz hielten und fingen an zu drehen. Aha, er will wieder so anlegen, dass der Bug in Richtung offene See zeigt, wie schon in Samoa. Jetzt sind wir aber wieder weit weg davon. Therese vermutet, wir hatten zu wenig Wassertiefe für das Wendemanöver; das finde ich komisch, der Pilot (Lotse) kennt seinen Hafen sicher genau. Abwarten. Nach einer Weile kommt eine Durchsage vom Captain: die Windstärke sei zu hoch für ein sicheres Anlegen und gemäss Prognose soll er noch zunehmen. Sicherheit sei oberstes Gebot, so habe er beschlossen, das Manöver abzubrechen und direkt Kurs nach Auckland aufzunehmen. Bereits gebuchte Landausflüge werden automatisch zurückvergütet. Tja, dem ist nichts beizufügen – schade, aber Sicherheit geht vor, das wissen wir aus eigener Erfahrung nur zu gut. Therese ist fasziniert von den vielen kleinen Inseln in Sichtweite und dem stellenweise türkisgrünen Wasser dazwischen. Wir hätten auch gerne fliegende Hunde gesehen, die es hier geben soll und sie wollte Vanilleschoten kaufen.

Sonntag früh steht es fest: statt Dienstag morgen, wie geplant, legen wir nun schon Montag abend in Auckland an. Ob sich Unternehmungslustige dann gleich ins neuseeländische Nachtleben stürzen werden? Was uns anbelangt, halte ich das für ziemlich unwahrscheinlich.

Sonntag früh haben wir einen wunderschönen Himmel. Wir sind ja schon nicht mehr in den Tropen, sondern im Bereich des Südostpassats – demnach müssten es Passatwolken sein.

Und nun liegen wir in Auckland fest! Wir haben den ganzen Pazifischen Ozean überquert! Unglaublich! Weiter weg von Europa kann man auf der Erde nicht mehr reisen! Wir lesen, essen, schlafen, besuchen Veranstaltungen, schauen, staunen, wie immer – ist das nicht eigenartig?


SECHS

New Zealand, 20-22. Februar

Nach dem Anlegen in Auckland geht Therese an Land und kauft eine Strumpfhose, ein paar Socken, vier Knoblauch und ein Fläschchen Gesichtsreiniger. Wir haben keinen Neuseeländischen Dollar, sie kann mit Kreditkarte bezahlen. Vier Knoblauchknollen kosten etwa gleich viel wie eine Strumpfhose.

Mit dem Bus machen wir eine Stadtrundfahrt und fahren über die Harbour Bridge hin und zurück. Vor allem die Lage von Auckland ist sehr schön; das Meer ist allgegenwärtig. Es gibt mehrere grosse Yachthäfen, Segeln ist hier Volkssport Nummer eins. Die Architektur ist meist modern, mit einigen schönen Gebäuden in Kolonialstil. Es gibt auch viele kleine Wohnhäuser, eng beieinander, in der auch in den USA üblichen Holz-Leichtbauweise. Auf einem Hügel ist eine riesige Rasenfläche mit einem Denkmal, dessen Bedeutung uns verborgen bleibt; die Aussicht ist schön.

Zwei von den vier Stunden verbringen wir in einem grossen, schönen Museum. Da gibt es zuerst eine Maori-Kultur-Vorführung: drei Frauen und drei Männer singen, tanzen, jonglieren; es hat zum Teil ziemlich aggressiven, kriegerischen Charakter. Die Frauen sind ganz bekleidet, die Männer tragen nur einen Lendenschurz.

Das Museum ist riesig, schön, gepflegt. Wir können nur einen kleinen Teil anschauen, vor allem Kunsthandwerk und alte Gebrauchsgegenstände der Maoris, unter anderen einen riesigen, reich verzierten Kriegskanu, zum Teil durch kunstvoll angebrachten, dicken Schnüren zusammengehalten.

Im Museumsladen könnte man ohne weiteres einige hundert, aber auch mehr Dollar ausgeben – oder gar nichts. Wir entscheiden uns für’s letztere...

Heute laufen wir erst am späteren Abend aus und liegen praktisch im Zentrum dieser 1,3 Millionen (deutsche Angabe) oder 1,4 Millionen (englische Angabe) Stadt, so entschliessen wir uns am Nachmittag zu einem weiteren Landgang. Wir gehen die Haupteinkaufsstrasse Queens Street landeinwärts. Am Anfang sind Läden wie Gucci, Vuiton und ähnliche, dann wird es aber bald vernünftiger. Ich suche ein Brillenbändsel. Im ersten Laden gibt es nur blödsinnig dicke, die wären vielleicht für ein Nachtsichtgerät von einem Kilo oder mehr angemessen. Im zweiten auch, da ist der Besitzer aber ein schon lange hier lebender Österreicher, der uns erklärt, wo wir fündig werden könnten. Wir wissen zwar nicht auf Anhieb, was ein Keksladen sein soll, wonach wir abbiegen müssen und er weiss nicht mehr, wie Optiker auf Deutsch heisst, wir finden aber den Laden trotzdem und tätigen diese Investition. Wir haben zwar keine neuseeländische Dollar, es ist hier aber kein Problem, selbst so kleine Beträge wie 4,90 mit Karte zu bezahlen. Ein paar Postkarten trauen wir uns aber doch nicht auf diese Weise zu beschaffen, so nimmt Therese noch ein kleines Schaf dazu.

Lädele (schweizerisch für Einkaufsbummel) ist aber für uns beide eher lästige Notwendigkeit als Vergnügen. So wollen wir etwas anderes versuchen, das uns ein hier lebendes Ehepaar, mit dem wir zufällig ein paar Worte im Lido gewechselt haben, sehr empfohlen hat. Irgendwo muss doch dieser Turm sein, man sieht ihn von weitem überall, aus der Nähe wird es aber schwieriger. Aus einer Seitengasse erblicken wir ihn aber.

Der Sky Tower wiegt etwa so viel wie 6000 Elefanten und zu der oberen Aussichtsplattform wären es 1267 Treppenstufen. Wir nehmen lieber den Aufzug, auch wenn das etwas Geld kostet und fahren zunächst auf 186 Meter hoch. Dass die Lage von Auckland wirklich sehr schön ist, wussten wir ja schon, aber aus dieser Höhe kommt sie erst richtig zur Geltung – überwältigend! Wir schauen zuerst auf den Hafen runter. Unsere Queen sieht von da wie ein Spielzeugschiffli aus, meint Therese. Es sind auch viele Segelboote unterwegs – noch mehr liegen in mehreren Marinas. An einigen Stellen kann man über Glasplatten gehen und senkrecht runterschauen; es ist ein etwas mulmiges Gefühl, auch wenn eine Tafel verkündet, dass das Glas 38 Millimeter dick und genau so fest wie die Betonplatte daneben ist.

Mit einem weiteren Lift kann man noch auf 220 Meter hochfahren. Das ist tatsächlich auch optisch eine Steigerung. Wer will, kann aus 194 Meter auch runterspringen, gesichert durch ein Seil. Darauf verzichten wir – nicht nur aus Kostengründen...

In der Nacht fahren wir etwas weiter nördlich, nach Bay of Island und werfen Anker. Diesmal müssen wir uns im Royal Court Theater sammeln, beziehen unsere Hundemarken – unsere sind bordeauxrote 3 – die man aber nicht am Halsband, sondern an die Brust geklebt trägt. Gelegentlich fahren wir mit dem Tender an Land, finden unseren Bus und fahren längere Zeit über eine sehr schöne Hügellandschaft. Therese sagt, Hobbit-Land: grosse Grasflächen, kleinere und grössere Baumgruppen, viele Kühe und Kälber, auch Schafe, aber nicht mehr so viele wie früher, sagt unsere Führerin – ob wir von der übrigen Welt sie langsam wegfressen?

Unser heutiger Ausflug heisst Puketi Forest Nature Walk. Es ist ein alter Kauriwald im Herzen der Nordinsel. Kauri sind mächtige Bäume, zum Teil tausend und mehr Jahre alt. Es sind aber nur einzelne Exemplare, der Wald besteht vorwiegend aus vielen anderen, kleineren, von uns nie gesehenen Arten, mit dichtem Unterholz, darin immer wieder auch Palmen, riesige Farne, sehr schön, sehr interessant. Der Pfad ist auch für mich gerade noch gut begehbar, wenn auch stellenweise ziemlich steil, zunächst meist abwärts, dann aber – wer hätt’s gedacht – wieder hoch. Die anderthalb Stunden reichen mir dicke. Die Kauri sondern Rohgummi ab, welchen die Maori für ihre Kriegs- und Zierbemalung verwendet haben, ansonsten verehrten sie den Wald und gingen sehr vernünftig, schonend mit ihm um – im Gegensatz zu den Europäern, die sich dann hier breitgemacht haben. Zum Glück steht dieser Wald nun aber unter Naturschutz. Bei Beginn des Pfades müssen die Schuhe auf einer Matte desinfiziert und gereinigt werden, weil irgendwelche Pilze die Bäume gefährden.

Auf dem Rückweg gibt es noch einen Zwischenhalt an einer schönen Stelle, wo wir mit Kaffee oder Tee, Kuchen und ausnahmsweise guten Äpfeln verköstigt werden. Wieder viele Kühe. Sie essen Gras und sehen ganz normal aus. An einer Stelle sammeln sie sich in einem offenen Laufstall, wohl zum melken. Offenbar kann man also heute noch, selbst in einem hochentwickelten Land, auch ohne fleischfressende Monster, die entweder wahnsinnig werden oder auf die eigene Euter treten, Milch produzieren. Die Neuseeländer sind, nachdem ich ganze vier Stück in meinem Leben von ihnen kennenlernen durfte, mein Lieblingsvolk geworden. Nach diesen zwei Tagen hier sind sie es nach wie vor. Wenn dieses Land bloss nicht so weit weg von vielen und vielem, die ich auch liebe, liegen würde – und dazu nicht auch noch ziemlich teuer wäre... Wir schätzen uns aber glücklich, dass wir es wenigstens mal kurz erleben durften!

Am späteren Nachmittag sind Alle wieder an Bord. Wir beobachten einmal mehr, wie „unser“ Tender wieder hochgehievt und an seinem Platz befestigt wird. Danach mache ich mich auf den Weg, um das Auslaufen aus dieser schönen Bucht zu beobachten. Auf Deck 9 will ich gerade hinaus, als ich selten gehörte Wortfetzen vernehme. Reden die etwa...? Ich gehe näher. Zwei junge Frauen, der Kleidung nach zur Crew gehörend. Es fällt ihnen natürlich auf, dass der Typ da sie beobachtet. „May I help you?“ fragt die eine, pflichtbewusst. „Nem, köszönöm, mir ist nur die Sprache bekannt vorgekommen“, antworte ich ungarisch. „Do you speak hungarian?“ fragen beide hintereinander, ungläubig. „Igen, persze“ (ja, natürlich). Nachdem meine Herkunft geklärt ist, fragt die eine, wo in der Schweiz. In der Nähe von Zürich, sage ich, wie immer – Zürich kennen alle, kleine Industriestädtchen kaum jemand. Ach ja, ihr Onkel hat auch da gelebt, in Baden. Baden? Da habe ich zuletzt gearbeitet, zwanzig Jahre lang. Auf Teneriffa war sie übrigens auch schon, da gäbe es sogar Pyramiden, erklärt sie ihrer Freundin. Worauf natürlich unweigerlich der blöde Spruch, die Welt sei klein, folgen muss – ausgerechnet von einer, die dabei ist, sie in langen vier Monaten einmal zu umrunden; zumindest nehme ich an, dass sie während der ganzen Reise dabei sind. Nur der Kapitän und vielleicht noch die höheren Offiziere haben nach drei Monaten Dienst drei Monate Urlaub, bei den unteren Rängen ist das Verhältnis acht oder neun zu eins.

Ja, ausgelaufen sind wir natürlich auch. Es gab viele Segler. Es ist ein herrliches Revier hier, heute mit genug aber nicht zu viel Wind und kaum Seegang.


SIEBEN

Sydney und der Weg dahin, 23 – 26. Februar

Aus technischen Gründen geht es im neuen Beitrag - ... Teil 2 - weiter.



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Kommentar von Thomas
- 10.12.2017 18:42

Nun scheint die maximalmögliche Grösse eines Beitrages erreicht zu sein - ich werde mich morgen drum kümmern, wahrscheinlich muss ich ein zweites neu aufmachen.

Kommentar von Thomas
- 07.12.2017 13:06

Nur zu! Ich freue mich auf Reaktionen oder Fragen!

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